20121119

stigma

I just helped Stephanie Baumgärtner with the first issue of her magazine "Stigma" about tattoo art and fashion. The magazine was her final work for the Bachelor degree.




Die Hülle

Er muss es beenden. Aufhören, dieses Spiel zu spielen, ihm jeden Tag ein neues Kostüm zu nähen.
Eine zweite Haut, in die er jeder Zeit schlüpfen kann. Dann und wann er sie braucht. Jemand sein, der er nicht ist, aber träumt zu sein. Sonst wird am Ende nichts von ihm übrig bleiben. Da sitzt er. In seiner Wohnung, seinem Zimmer, seinem Bett und weiß nicht mehr wohin. Was tun, was denken, was fühlen? Kalte Finger berühren die leere Haut. Nach Tod fühlt sie sich an. Kalt, leer, irgendwie fremd. Ist sie tatsächliche Seine? Die Tür ist zu, das Spiel ist aus. Niemand sieht ihn. Jetzt kann er sie fallen lassen, seine alte Haut, die er sich übergezogen hat, um jemand anderes zu sein. So lange hat er doch an ihr gefeilt, sie liebevoll verziert und mit Mühe kreiirt. Der Riss wird immer größer. Zuerst lösen sich trockene Fetzen von seiner Stirn, auf der eben noch Perfektion stand. Dann kann er allmählich den aufhaltsamen Juckreiz am ganzen Körper spüren. Die Haut löst sich, die Maske fällt. Er wollte größer sein, klüger, schöner, erfolgreicher. Besser.  Auf seinem Nachttisch stapelte sich Literatur von großen Männern, dessen Namen ihm Respekt verschaffen. Er sollte sie gelesen haben. An seiner Wand hängen Bilder von schönen Menschen, dessen Schönheit ihm Angst einflößten. Er sollte sie gekannt haben. Schweißperlen rinnen von seiner hautlosen Stirn. Er sollte erstklassig sein. Sie hätten sonst womöglich denken können, er sei gewöhnlich. Halte fest an deiner Haut, die dir die Luft zum Atmen nimmt. Früher oder später wird sich die Schlange häuten. Kunst ist das, was zählt. Kunst ist, was man von ihm erwartet. Sei interessiert, sei wissend, sei individuell. Schmücke dich mit Wissen, mit Oberflächligkeit und Sätzen, die nicht du erdacht hast, sondern sie. Die Menschen, die so sind, wie du gern wärst. Bau dir ein Gerüst aus all den Bildern großer Männer und stell es unter deine Füsse, damit du größer erscheinst. Sehe dir Kunst an, die niemand kennt oder jeder, der viel weiß. Höre nicht auf dich, lass dich nicht berieseln von Schönheit ohne Sinn. Spürst du dann das leise Bröckeln der Fassade? Die Farbe verblasst. Aus rosa wird weiß. Die Haut stirbt. Jetzt liegt er zuhause, vollkommen nackt. Ohne Schutz, ohne Hülle, ohne Haut. Jetzt fragt er sich, wer er doch wirklich ist. Wer er wäre, wenn sie nicht wären. Was bleibt von ihm übrig? Er starrt an die Wand und versucht sich selbst zuzuhören, in der Stille sich zu finden. Sein Ich ist irgendwo verloren gegangen zwischen Realität und Utopie, zwischen Angst und Verdrängung. Und da sitzt er, während die weiße Tapete beginnt, ihn zu zerquetschen. Er muss weg. Zeit für eine Veränderung. Zeit für etwas Mut. Zeit sich eine dickere Haut zuzulegen, die er Seine nennen kann. Steh auf! Schüttel dich, bis sich auch der letzte Rest gelöst hat. Schneide sie ab, die Fäden, die dich zur Marionette machen. Blicke in den Spiegel und schau dich an. Hat doch in den letzten Jahren die Maske den Blick getrübt. Dann beginnt sie langsam nachzuwachsen, die Haut. Adern füllen sich voll Leben. Die Wunden schließen sich. Aus weiß wird rosa. Aus Tod Leben. Doch wen er da im Spiegel sieht, erkennt er nicht. Wer ist dieser Mann ohne Gesicht? Plötzlich stehen keine Worte mehr auf seiner Stirn. Und niemand wird kommen, der sie für ihn schreibt. Die Haut ist leer. Er muss sie selbst beschriften. Die Nadel in die Tinte tauchen, seine eigenen Worte finden. 
Wieder Ich sein.

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